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Über Trauer und Zeit – der Jahrestag

Fast ein Jahr ist es her, dass meine Mami den Kampf gegen den Krebs verloren hat. Ein Jahr in dem Schritt für Schritt wieder ein Alltag einkehrte. In dem ich durch verschiedene Phasen der Trauer ging, mich aber auch regenierte von den Strapazen der Sterbebegleitung. Eine Zeit, in der ich lernte mich wieder in den Fokus zu stellen und das Leben auskostete. Aber auch ein Jahr mit einer Lücke, die ich im Alltag oft versuchte zu ignorieren.

Jetzt, wo dieser Jahrestag ansteht, fällt mir das unfassbar schwer. Ich erinnere mich an den Ablauf der letzten Tage, Stunden und Minuten. Ich erinnere mich mehr als realistisch an Gespräche und Gefühle. Ich habe in den abwegigsten Situationen Flashbacks, die mich als Zuschauer in Situationen von damals katapultieren. Die mich aber aus der heutigen Sicht fühlen und mich fragen lassen, wie ich diese Monate der seelischen Extrembelastung überhaupt ertragen konnte. Flashbacks die mich auch meine Entscheidungen und Handlungen hinterfragen lassen. Ein Mix aus all dem schwebt über mir. All das ist aktuell so omnipräsent.

Und dann ist da diese Melancholie, die sich schon am Morgen anfühlt wie ein eiserner Griff, der sich um das Innere legt.

Ja, so fühlt sich wohl Trauer an und ja, das ist normal, aber es bedeutet trotzdem nicht, dass es einfach ist. Ich kann mir einreden, dass es einfacher wird und dennoch fühle ich mich hilflos in einem Zustand, den ich nicht aktiv ändern kann. Es macht mir Angst, dass es ein Jahr später wie ein Boomerang einschlägt. Natürlich frage ich mich da, was rollen noch für Wellen auf mich zu?

Wird es besser? Wird es leichter? Wird es anders?

Ganz bestimmt. Daran möchte ich glauben. Trauer ist allerdings ein unberechenbarer Prozess, der nach seinen eigenen mir nicht ersichtlichen Regeln spielt. Dennoch bilde ich mir immer wieder ein: Jetzt hast du es verstanden. Jetzt weißt du damit umzugehen. Jetzt kannst du es greifen. Dass ich das nicht muss, weiß ich auf rationaler Ebene und trotzdem versucht es mein funktionales Erwachsenen-Ich.

Als mein Vater vor 20 Jahren starb, brach eine Welt für meine Familie und mich zusammen. Dennoch war es eine ganz andere Art oder Form von Trauer. Als Kind fühlst du einfach und lässt los. Das ist pure Emotion. Ich habe nicht versucht es zu verstehen. Ich wollte auch die Trauer nicht verstehen. Ich empfand es als unfassbar ungerecht und ließ den Emotionen freien Lauf. Du gehst einen anderen Weg der Trauer, der sicherlich nicht weniger schmerzvoll ist, aber eben anders.

Womit mir deutlich vor Augen gehalten wird, wie dieser lange Weg aussehen kann und dass es nicht ums Verstehen geht. Wenn es dem Erwachsenen-Kontrolli-Ich auch schwer fällt.

Ich übe noch.

16 Comments

  • Karin Bubbe

    1. Juni 2018 at 16:25

    Ich habe meine Mutter 2006 verloren und weiß seidem, dassdieses “Zeit heilt alle Wunden-Ding” nicht funktioniert. Es wird anders, aber nicht weniger schmerzhaft. Ich mag dieses Gedicht, deessen Verfasser ich leider nicht kenne:

    Mütter sterben nicht, gleichen alten Bäumen,
    in uns leben sie und in unseren Träumen.
    Wie ein Stein den Wasserspiegel bricht,
    zieht ihr Leben in unserem Kreise.
    Mütter sterben nicht.
    Mütter leben fort auf ihre Weise.

    Bitte fühl´Dich gedrückt.
    Liebe Grüße!
    Karin

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  • Kerstin

    1. Juni 2018 at 16:27

    Dein Text ist mir gerade direkt ins Herz und unter die Haut gegangen . Meine Mutter ist erst im Dezember gestorben und ich empfinde deine Worte wirklich genauso, als hätte ich diesen Text selbst geschrieben. Danke dafür , ich wünsche dir Mut, Kraft und Zeit deine Trauer zu verarbeiten . Lieben Gruß Kerstin

    Antworten
  • Ela

    1. Juni 2018 at 16:36

    Liebe Jenny,
    es ist mein erster Kommentar auf deinem Blog, obgleich ich dir schon lange hier und auch auf Instagram folge.
    Auf deine Frage, ob es besser wird – jein, aber du lernst, damit umzugehen, irgendwann. Weil das Gefühl anders wird, die Flashbacks werden sich verändern, aber auch die werden nie ganz aufhören.
    Ich hab 2001 meine Tochter verloren und jahrelang die Trauer und den Schmerz ignoriert, bis mich all das an Gefühlen und Schmerz mit einem Schlag eingeholt hat und ich zusammenbrach. In einer Klinik bin ich dann quasi wieder wach geworden und musste mich all dem stellen, was wahnsinnig weh tat. Ich bereute den Schritt während meines Aufenthaltes mehr als einmal und auch mehr als einmal, wollte ich alles hinschmeißen und gehen.
    Bis es dann einfach *peng* machte.
    Schwierig ist es nach 17 Jahren immer noch und an manchen Tagen kann ich nicht am Schreibtisch sitzen, weil mich ihr Kuscheltier ansieht, dass letzte, das sie in ihren kleinen Händen hielt – dann zerreißt es mich und ich muß weg. Aber ich hab festgestellt, es wird irgendwann anders, weil ich auch anders damit umgehen kann – anders beschreiben kann ich es nicht *sorry*

    Fühl dich gedrückt, wenn du magst…

    Liebe Grüße aus Augsburg

    Ela (soulpierced)

    Antworten
  • Julia

    1. Juni 2018 at 16:41

    Liebe Jenny,

    ich würde Dir gern sagen, dass es einfacher wird, aber das ist so leider nicht richtig.

    Bei meiner Mum sind es jetzt über 17 Jahre (ich war 19) und ich habe Momente, in denen ich immer noch völlig zusammenbreche. Kürzlich z. B. an ihrem Geburtstag. Es gibt Momente, wo es so frisch ist, als wäre es ein paar Tage her und nicht 17 Jahre. Nächstes Jahr ist sie mein halbes Leben tot. Das sind Dinge, die ich noch immer nicht greifen kann, geschweige denn begreifen.

    Trotzdem, es gehört zu unserem Leben. Schwierig ist es immer dann, wenn man im nächsten Umfeld und Freundeskreis niemanden hat, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Ich merke oft, dass die Menschen damit nicht umgehen können oder wollen. Daher finde ich es umso toller, wie offen Du damit umgehst. Denn nur so hört dieses Tabuisieren irgendwann vielleicht einmal auf.

    Ich wünsche Dir, dass Du den ersten Jahrestag (und ja, das ist der schlimmste von allen!) gut überstehst. Mach etwas schönes und denke auch an Dich.

    Alles Liebe,
    Julia

    Antworten
    • Britta

      3. Juni 2018 at 12:20

      … würde auch gerne etwas anderes sagen, kann mich Julia aber leider nur anschließen (ich verlor meine Mama vor 18 Jahren, wenige Tage nach meinem 17 Geburtstag an den scheiß Krebs) – und leider heilt die Zeit einen Sch…!!!

      Trotzdem alles Liebe
      und das du einen guten Weg für dich findest, damit zu leben… ?

      Antworten
  • Klara

    1. Juni 2018 at 18:35

    Liebe Jenny,
    gerade Todestage, Geburtstage und Weihnachten sind jene Tage an denen man noch viel mehr an Personen und Situationen denkt. Man hat mir immer gesagt: „Die Zeit heilt alle Wunden“. Dem kann ich nicht zustimmen. Ich hab vor fast 24 Jahren völlig überraschend meine Mutter verloren, da war ich 5. In der Jugend hat mich das alles eingeholt und ich hab mit Hilfe gelernt den Tod zu verarbeiten. Gerade als alles gut war, ist mein Vater 2015, wieder völlig überraschend, verstorben. Ich hatte keine Zeit mich zu verabschieden. Darüber rede ich heute offen und gebe jedem mit die Zeit so gut es geht zu genießen. Es wird nicht unbedingt einfacher werden aber es wird anders und Erinnerungen an liebe Menschen und bewusstes Aufarbeiten werden dir helfen mit der Trauer umgehen zu können. Ich wünsche Dir alles Liebe.

    Antworten
  • Mareike

    1. Juni 2018 at 19:52

    Liebe Jenny,
    alles was du schreibst, lässt mich meine eigenen Gefühle begreifen. Meine Mutter ist inzwischen vor knapp 3 Jahren mit 50 Jahren ebenfalls an Krebs gestorben, damals war ich 22 Jahre alt. Mein Vater und ich haben sie zu Hause behalten, um ihr in ihrer gewohnten Umgebung alles geben zu können, was sie brauchte. 5 Tage die Woche war ich bei meinen Eltern und habe versucht teilzunehmen, zu helfen, zu verstehen, Abschied zu nehmen?!
    Als die Nachricht kam, dass sie unheilbar krank sei, ist meine kleine schöne Welt zusammengebrochen. Sie war immer für dich da, brachte mir bei zu leben und nun sollte ich ohne sie leben. Ich fühlte mich, als würde jeden Tag ein Teil von mir mit ihr sterben. Es war schrecklich meine starke Mutter hilflos, ängstlich und furchtbar krank zu sehen – vor allem aus heutiger Sicht. Sie fühlte sich so schlecht, dass sie sterben wollte. Das hat mich fertig gemacht. Ich würde sagen, man lebt in so einer aussichtslosen Situation wie in einem Autopilot, man versteht nicht, was passiert, man versucht alles immer ein bisschen positiv zu sehen, nur für sie.
    Ich glaube auch, dass das erste Jahr das schlimmste ist. Man macht einmal jeden Tag zum ersten Mal ohne sie durch: Geburtstage, Weihnachten, besondere Erlebnisse, die man sonst immer mit ihr geteilt hätte. Das ist hart und man merkt es im Laufe der Zeit immer wieder. Und wie wir von Julia erfahren konnten, wird es uns für den Rest unseres Lebens so gehen und das ist okay. Man hat eben nur eine Mutter.
    Doch in glücklichen Momenten, sehe ich meine Mutter oft am Ende des Raumes stehen mit einem Lächeln im Gesicht, als würde sie sich für mich freuen – und das glaube ich wirklich.
    Danke für eure Offenheit, es ist das erste Mal, dass ich mich in einem Blog äußere! 🙂

    Mareike

    Antworten
  • Annika

    1. Juni 2018 at 22:16

    Selten hat mir ein Blogpost so aus der Seele gesprochen, du schreibst, wass ich nicht in Worte fassen kann. Meine Mama starb 2016, am Tag vor meinem 25ten Geburtstag. Das ganze ging so schnell von 0 auf 100 (3 Wochen nach der ersten Diagnose starb sie). Die Erfahrung und die Trauer haben mich tiefgreifend verändert und tun es auch heute noch. Was ich früher nie gedacht hätte, dass es die kleinen Momente sind, die am meisten schmerzen, macht die Trauer zuneinem alltäglichen, manchmal stillen, manchmal lauten Begleiter.

    Antworten
  • Janina

    2. Juni 2018 at 0:14

    Deine Zeilen haben mich gerade zum Weinen gebracht…Weil ich so mitfühlen kann und weiß, wie schwer diese Zeit ist. Meine Mutter ist letztes Jahr drei Tage vor Weihnachten gestorben. Manchmal kann man vor Schmerz kaum atmen, weil er einem den Hals zuschnürt. Es ist gut zu wissen, dass es „da draußen“ auch jemanden gibt, der so trauert wie man selbst. Und du hast so recht, es gibt diese ganz dunklen Tage, an denen „nichts mehr geht“. Manchmal ist man auch Typ „kleines Kind“ und fragt trotzig nach dem Warum…
    Einen lieben Gruß an dich, viel Kraft wünscht dir -eine sonst stille Leserin – Janina
    (Instagram: jamei_89)

    Antworten
    • Simone Will

      15. November 2019 at 0:52

      Hallo Janina,ich mußte weinen als ich deins gelesen habe.Meine Mama ist am 10.12.2018 an Krebs gestorben wollte sie morgens noch wach machen und dann ist sie im Koma gefallen.Habe meine Mama ganz lange gedrückt und gesagt das ich sie lieb hab.Am 21.12.2018 war die Beerdigung 3 Tage vor Weihnachten.Habe meine Mama mit meinem Vater 3 Jahre gepflegt zuletzt im Rollstuhl geschoben meine Mama war glücklich und ich auch.Wünsche viel Kraft,LG.Simone.

      Antworten
  • Kirsti

    2. Juni 2018 at 12:17

    Bei mir und meiner Mama sind es ein paar Jahre mehr. Ich kann sagen, es wird besser weil man sich daran gewöhnt, anpasst. Aber in meinem Kopf spreche ich nach wie vor mit ihr. Die Trauer kommt in Wellen.

    Das Vermissen bleibt.

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  • Sabrina

    3. Juni 2018 at 22:10

    4 Jahre ist es her,dass mein Papa den Kampf gegen den Krebs verlor. Auch ich würde dir gerne sagen dass es mit der Zeit einfacher wird, leichter. Aber dann müsste ich lügen. Aber, es wird anders. Wie, dass kann ich dir nicht erklären.

    Ich wünsche dir viel Kraft und den Mut offen zu trauern. Das ist so wichtig.

    Grüße Sabrina

    Antworten
  • Holstein

    12. November 2018 at 15:22

    Was du vor einem Jahr durchgemacht hast,erlebe ich gerade in diesem Moment. Wir erfuhren vor einem Jahr dass mein Mann Magenkrebs hat. Erst Chemo,im Februar eine komplette Magenentfernung dann wieder Chemo. Es ging wieder Bergauf,zwar mit großen Einschenkungen,aber wir fanden einen neuen Rythmus. Im Juni ging er in Reha und bekam dort starke Schmerzen im Bauch.Reha Abbruch.Untersuchungen,aber es wurde nichts gefunden. Kurzer Krankenhausaufenthalt,man fsnd nichts. Abwarten hieß es. Probierten auch Homöopathie.Nichts.Einen Monst lang parenterale Ernährung,da er nichts mehr essen konnte. Ein Tag vor Allerheiligen kam dann der Zusammenbruch.Uniklinik und die unfassbare Nachricht:Der Krebs ist zurück,kann nur noch Palliativ behandelt werden. Morgen haben wir Besprechung wie es weitergeht. Angedacht ist,das er nach Hause kann um noch wichtige Dinge zu erledigen….Habe große Angst. Weiss nicht wie ich,meine Töchter,das verkraften. Das Leben ist nichts für Angsthasen.

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  • Nina

    28. Januar 2019 at 16:23

    Liebe Jenny, Deine Zeilen haben mich berührt. Mein Vater starb im März 2017. Ich weiß, wie kräftezehrend die Sterbebegleitung ist und doch bin ich dankbar, dass ich diese intensiven Momente erleben und meinem Vater so nah sein durfte. Meine Trauer war und ist unendlich schwer. Und als sich nach einem Jahr ein kleines Licht im Dunkel auftat, starb meine Mutter ganz plötzlich und unerwartet. Das war am 27. April 2018. Ihr Tod hat mir den Boden und den Füßen gerissen und in einen tiefen schwarzen Sumpf hinab gezogen. Ich weiß manchmal nicht, wie ich das letzte Jahr überstanden habe. Sie fehlt mir jeden Tag unendlich und ich weiß nicht, wie diese Trauer jemals milder werden soll. Ich trauere nicht stärker um meine Mama, als um meinen Papa, aber es ist anders. Von meinem Vater konnte ich mich verabschieden, das wurde mir bei meiner Mama genommen. Auch ich übe noch, mit dem Tod meiner Eltern zu leben. Was bleibt uns anderes übrig?

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