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Marken als vergemeinschaftender Vorgang – und was dies mit der Individualisierung zu tun hat

Ich bin Markensoziologin – durch und durch. Mich faszinieren gesellschaftliche Dynamiken und die darin eingebundenen Individuen. Aber eben auch Prozesse, in denen leblose Gegenstände oder Unternehmen mit emotionaler Bedeutung aufgeladen werden. Daher habe ich auch meine Masterthesis 2012 dieser Thematik gewidmet. Genau gesagt, habe ich mich mit dem Thema der Markengemeinschaften beschäftigt. Aufgrund einer beruflichen Fragestellung griff ich nach vielen Jahren mal wieder zu meiner Thesis und musste feststellen, dass das Thema mehr denn je aktuell ist. Wer weiß wen es interessieren könnte – daher kommt im Folgenden die Einleitung und das Fazit dieser Arbeit.

Viel Spaß 🙂

Markengemeinschaften in der Risikogesellschaft – Untersuchung eines soziologischen Konstrukts unter besonderer Berücksichtigung von Ulrich Becks Gesellschaftstheorie

Markengemeinschaften sind geographisch ungebundene Netzwerke zwischen begeisterten Verwendern spezieller Marken(-produkte), die auf einer Reihe von sozialen Beziehungen untereinander basieren und durch das besondere Interesse an der jeweiligen Marke verbunden sind. Davon sind insbesondere Marken wie Apple, BMW, Jeep und Harley-Davidson betroffen, welche ein starkes Image und eine lange Historie aufweisen. Diese Marken sind häufig mit teuren Produkten, einer geringen Kaufhäufigkeit und dem öffentlichen Konsum verbunden. Dementsprechend wird ihr Gebrauch unmittelbar oder mittelbar mit anderen Individuen geteilt.

Bedeutend ist in dieser Arbeit jedoch nicht die spezifische Marke um die sich soziale Strukturen bilden, sondern der vergemeinschaftende Vorgang an sich unter besonderen gesellschaftlichen Bedingungen.

Der deutsche Soziologe Ulrich Beck veröffentlichte 1986 unter dem Titel „Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne“ eine Zeitdiagnose mit weitreichendem Diskussionspotenzial innerhalb und außerhalb der Disziplin. In der Risikogesellschaft existieren dem Begriff entsprechend Risiken, von denen jedes Individuum betroffen ist. Darunter sind Modernisierungsrisiken in Form von Umweltproblemen zu verstehen. Entscheidender für diese Arbeit sind allerdings die gesellschaftlichen, biographischen und kulturellen Risiken. Sie lassen sich unter dem Begriff der Individualisierung betrachten. Individualisierung bedeutet nicht Individualismus, daher stehen im Interessenzentrum dieses Theorems nicht (nur) die sozialen Folgekosten und nicht (vornehmlich) die Erhaltung der sozialen Ordnung.

Individualisierung bei Beck ist ein dreifacher Prozess der Freisetzung, Entzauberung und Reintegration für das Individuum. Das bedeutet, die Individuen werden zum Zentrum ihrer eigenen Lebensplanungen, ohne den Halt traditionaler Sozial- und Gemeinschaftsformen sowie ohne Bindungen an soziale Klassenlagen. Individualisierung ist hier die Aufweichung und gleichzeitige Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen durch multiple Formen, in dessen Zentren einzelne Individuen ihre Lebenszusammenhänge und ihre Biographien selbst herzustellen und zu inszenieren haben. Diese Freisetzung ist mit dem Zwang zur Selbstgestaltung und Selbstinszenierung verbunden, aber unter neuen strukturellen Vorgaben wie z.B. dem Arbeitsmarkt. Es sind riskante Freiheiten, welche den Individuen auferlegt werden, denn auch die Folgen ihrer Entscheidungen müssen von ihnen allein getragen werden. Individualisierung ist dementsprechend ein ambivalenter Prozess mit Chancen und Risiken für jedes einzelne Individuum.

Markengemeinschaften im Forschungsfeld, insbesondere unter dem Titel der „Brand Communities“ verbreitet, entspringen der Konsumsphäre. Sie werden aus dem Interesse an einem kommerziellen Produkt erzeugt. Konsum bedeutet Multioptionalität und erzieht zur Abwechslung sowie zur endlosen Suche nach immer Neuem. Ein inhärenter Gegensatz zur Gemeinschaft im ursprünglichen Sinne, welche durch die soziale Existenz allumfassende, emotionale und natürlich gegebene Beziehung zwischen Individuen definiert wird. Eine feste und zeitlich stabile Bindung z.B. in Form der Familie mit gemeinsamen Sinnvorstellungen, moralischer Verantwortung und persönlicher Intimität. Wenn nun auch noch das einzelne Individuum immer mehr zum Mittelpunkt und zur sozialen Reproduktionseinheit seines Lebens wird, ist die logische Folgeannahme, dass die Gemeinschaft immer stärker an den Rand verdrängt wird. Dem schließt sich die Frage an, inwiefern sich gemeinschaftliche Strukturen in einer individualisierten Gesellschaft verändert haben und wieso scheinbar Marken vergemeinschaftende Prozesse auslösen.
In der Arbeit soll daher das Phänomen der Markengemeinschaften unter dem Blickwinkel Ulrich Becks Risikogesellschaft und der darin stattfindenden individualisierenden Prozesse betrachtet werden.

Die Existenz von Gemeinschaften im Sinne von natürlich gewachsenen, emotionalen und persönlichen Beziehungen zwischen Individuen, Zusammengehöigkeitsgefühlen, geteilten Sinnvorstellungen, moralischen Verpflichtungen und lebenslangen Bindungen ist in der Risikogesellschaft, als dem gesellschaftlichen Konstrukt der reflexiven Moderne, sehr unwahrscheinlich geworden.

Die Vergesellschaftung vollzieht sich über die Individualisierung und produziert freigesetzte Individuen, welche zu einzelnen Organisationseinheiten ihres Lebens werden (müssen) und folglich ihre individuelle Bedürfnisbefriedigung gezwungenermaßen über jegliche kollektive Zwecke erheben. Die soziokulturellen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland sorgten für die Pluralisierung und relative Freiheit der Lebensgestaltungsmöglichkeiten und demgemäß für das Brüchigwerden traditionaler Sozialformen und Bindungen. Die Individuen begegnen sich über lockere Verbindungen in vielfältigen und spezifischen Rollen mit sachlichen Interessen. Die logische Folge dieser Entwicklungen ist, dass sich das Individuum immer weniger als ganze Person in der Gemeinschaft aufgehoben und vor allem gefordert fühlt. Dieser Wandlungsprozess wird durch die Notwendigkeit des Vorhandenseins von funktionalen Beziehungen, von diversifizierter Rollendifferenzierung und damit von Individualität, für den Erhalt der sozialen Ordnung verstärkt. In der Risikogesellschaft sind Individuen gefordert, die sich als Individuum und ihre Biographie flexibel und aktiv, unter konkurrierenden Normalitätsvorstellungen, Sinnsystemen und Lebensformen zu gestalten wissen. Individuen dessen Handlungen ihrem Selbstzweck dienen. Gemeinschaft ist unter diesen sozialen Voraussetzungen möglich, dagegen in ihrer Urform unwahrscheinlich geworden.

Markengemeinschaften sind dagegen das Resultat dieser sozialen Bedingungen und Entwicklungen. Da Gemeinschaft immer an die sozialen Akteure gebunden ist, obliegen die in ihr enthaltenen Beziehungen denselben Veränderungen. Markengemeinschaften übernehmen die Funktion der Gemeinschaft demgemäß in der Form, wie es den Bedingungen der Risikogesellschaft entspricht. Markengemeinschaften stellen folglich eine neue Form von Gemeinschaft dar: die posttraditionale Gemeinschaft.

Ihre wichtigste Funktion besteht in der Bedarfsdeckung sozialer Bindungen. Auf Basis des geteilten Interesses an einer Marke verbinden sich die Individuen. Die Teilnahme ist freiwillig, ortsungebunden und meist temporär, daher bestehen keine Handlungszwänge oder Sanktionen im Falle des Austritts. Die gleichzeitige Teilnahme an verschiedenen (Marken)Gemeinschaften, damit an konkurrierenden Sinnsystemen ist möglich sowie wahrscheinlich. Doch auch wenn Markengemeinschaften labile soziale Konstrukte darstellen, besitzen sie Regeln, Routinen, Traditionen, welche von den Mitgliedern akzeptiert, adaptiert und gepflegt werden. Das geteilte Interesse an einer Marke stellt die Verbindung her. Das kollektive Erlebnis bzw. Bewusstsein in und aus der Gemeinschaft – das Wir-Gefühl – dagegen bindet und sorgt für soziale Beziehungen, die den Formen und Strukturen der Ur-Form von Gemeinschaft ähnlich sind – entsprechend den Charakteristika von Muniz und O’Guinn. Es ist daher nicht die Konzentration auf Marken, die das besondere Merkmal posttraditionaler Gemeinschaft darstellt, sondern das nach wie vor starke Bedürfnis nach kollektiver, sozialer Bindung und die freiwillige Bekenntnis zu diesen Teilzeit- Kulturen.

Marken eignen sich als Vergemeinschaftungsinstrumente, weil sie die Reduzierung von Komplexität im Konsumalltag bewältigen. Sie vermitteln Sicherheit, Orientierung und Vertrauen. Darüber hinaus können Marken mit einer inhärenten emotionalen Anziehungskraft und Identifikationspotenzial als Sinnquellen dienen, die kollektive Werte, Normen sowie Lifestyles produzieren und die Individuen damit zur Nutzung verführen. Marken besitzen Kommunikations- und Symbolfunktion zur Abgrenzung von und/oder Akzeptanz durch andere Individuen. Sie dienen als Selbstdarstellungsbausteine, als Lebens-Gestaltungselemente durch die wenigstens eine begrenzte Individualität der unmittelbaren Umwelt gegenüber ausgedrückt wird und das eigene Selbst-Konzept konstruiert wird.

Wenn Individuen durch die gesteigerte Wertschätzung einer Marke sozial verbunden sind, dann sind sie das erst einmal aufgrund des Wunsches, diese Begeisterung für ein kommerzielles Produkt zu teilen. Dahinter verbirgt sich auf der Basis der Funktionen von Marken, das Bedürfnis der Akzeptanz und sozialen Anerkennung der individuellen Selbstdarstellung. Die Mitgliedschaft ist ebenso wie die Nutzung der Marke Ausdruck der Individualität, die es zu beweisen gilt um nicht als Massenmensch seine eigene Identität zu verlieren. Der Beitritt zu einer Markengemeinschaft reduziert den Aufwand der eigenen Individualitätsbeweisung und Individualitätsbehauptung, da es in der Gruppe einfacher ist Bestätigung zu finden auch wenn dies nur einer begrenzten Individualitätsbeweisung entspricht. Außerdem werden die Risiken von Wahlentscheidungen minimiert, denn die Gemeinschaftszugehörigkeit auf der Basis eines gemeinsamen Interesses ist auch an eine gemeinsame Lebensphilosophie gebunden. Diese wiederum kann als Sinnquelle der eigenen Lebensgestaltung dienen und damit das relative Bedürfnis nach kollektiven Vorgaben stillen.

Eine idealtypische Markengemeinschaft erfüllt damit multiple Funktionen in der Risikogesellschaft. Sie verbindet und bindet die Individuen, sie dient als Sinnquelle und erleichtert die Individualitätsbeweisung. Sie reduziert die Komplexität für die Individuen und sie generiert soziale Anerkennung. In der Realität ist jedoch fraglich, auf welche Markengemeinschaften dies zutrifft. Die wesentliche Determinante dafür ist die persönliche Interaktion zwischen den Mitgliedern. Das Wechselspiel zwischen Zusammenkunft und Zerstreuung. Erdachte Gemeinschaften, welche sich vornehmlich im virtuellen Kontext verorten lassen, können diese Funktionen nicht erfüllen. Sie stellen vielmehr Netzwerke von Marken begeisterten Individuen dar, welche Anzeichen von Wir- Gefühl, Tradition und Solidarität innerhalb der Beziehungen aufweisen und sich durch ähnliche Konsumerfahrungen, Geschichten etc. mit einander verbunden fühlen. Für das Forschungsfeld bedeutet es die Notwendigkeit der Überdenkung, Spezifizierung und möglicherweise Überarbeitung ihrer Grundlagen sowie Begrifflichkeiten. Andernfalls besteht in Zukunft die Gefahr jegliche um Marken bestehende vergemeinschaftende Effekte als Markengemeinschaften zu deklarieren. Eine endgültige empirische Prüfung, ob der Gemeinschaftsbegriff oder der Netzwerkbegriff angemessener für die beschriebenen und untersuchten sozialen Phänomene scheint, konnte in dieser Arbeit nicht geleistet werden. Dies sollte Inhalt der zukünftigen Forschungen um das Phänomen der Markengemeinschaften sein. Eins ist jedoch deutlich, überall dort wo vermeintlich Markengemeinschaften zu lokalisieren sind, bestehen Netzwerke von Markenliebhabern und diese Netzwerke repräsentieren in der Risikogesellschaft weitaus mehr, als eine bloße Anhäufung von Individuen mit dem geteilten Interesse an einem kommerziellen Gut.

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