Und nein, leider ist damit kein romantischer Roman von Jojo Moyes gemeint – Ein ganzes halbes Jahr lebe ich nun unter der alles erdrückenden Diagnose unheilbarer Krebs. Nicht bei mir selbst, aber bei meiner Mutter und der Krebs greift unerbittlich alles an, was in seinem Umfeld liegt.
Als infauste Prognose wird das im Fachjargon bezeichnet. Klingt direkt leichter, ist es aber natürlich nicht.
Ich habe auch nach diesen Monaten noch Augenblicke, wo ich für einen kurzen Moment denke, das ist alles nur ein ganz übler Traum. Wenn z.B. dein Handy klingelt und dich der letzte Urlaubsschnapschuß deiner Mum als Anzeigebild daran erinnert, dass es auch mal ein Leben außerhalb von Hospiz und Krankenhaus gab. Wenn du alten Bekannten die “Wie geht es euch” Frage beantworten musst. Du dich zwar selber reden hörst, aber eigentlich keine Verbindung zu den Worten fühlst. Wenn du das Entsetzen im Gesicht des Gegenübers siehst. Manchmal erwischt es dich auch einfach in ganz unvorhersehbaren Situationen.
Es ging alles so unfassbar schnell und gleichzeitig fühlt es sich wie die längsten Monate meines Lebens an. Die Ambivalenz dieses Prozesses ist überall.
Du weißt nicht, wovon du morgen durchgeschüttelt werden wirst. Du weißt nicht, wie du morgen reagieren wirst.
Es ist eine nicht enden wollende Achterbahnfahrt. Grad wenn du denkst, etwas Stabilität gefunden zu haben, schlägt es dich nieder. Grad wenn du denkst, einen Weg gefunden zu haben, dreht sich alles um 180 Grad und du stehst wieder bei Start.
Du bist gleichzeitig furchtlos und angsterfüllt. Emotional und kalt wie ein Eisblock. Funktionierst und strauchelst.
Das klingt vermeintlich wirr, aber ich kann es nicht anders beschreiben.
6 Monate habe ich versucht alles unter einen Hut zu bringen: Job, Privatleben, Hobbies und den Krebs. Das funktioniert nicht. Das Bildnis zu vieler geöffnter Taps oder Apps auf dem Handy spiegelt diesen Zustand ganz gut wieder. Du wirst langsamer – du frierst ein. Du musst Apps schließen oder zumindest im Background weiterlaufen lassen, um Energie für die wichtigen Dinge zu haben. Und du musst lernen, welches Ladekabel das Richtige ist.
Ich lerne jeden Tag und dabei vermisse ich mein altes Leben. Ich vermisse die Unbeschwertheit. Ich vermisse meine Mum – jetzt schon.
10 Comments
ELA
29. April 2017 at 9:20Ich habe gerade deinen Blog gelesen und es tut mir unendlich leid in welcher Situation bist. Mir traten Tränen in die Augen. Ich wünsche dir ganz viel Kraft für die schwere Zeit. Sei unbekannterweise gedrückt. LG
Kirsten
29. April 2017 at 9:31Ich weiß leider sehr genau wie du dich fühlst. Mein Mann bekam im Dezember die Diagnose Glioblaston V. 10 Monate noch lt. Statistik. 2 Ops, Bestrahlungen, Chemo und wieder Wachstum später hat er die Statistik überlistet. Trotzdem ist er “im Endstadium einer tödlich verlaufenden Krankheit” bei einer noch ganz guten Lebensqualität.
Du hast es sehr gut in Worte gefasst. Das Herz schmerzt. Der Kopf kann es nicht glauben. Und die Zukunft….ich will mich damit eigentlich nicht beschäftigen….fühl dich umarmt
Marion Lehwald
29. April 2017 at 10:03Ich kann so gut nachvollziehen was in dir vorgeht.
Ich habe meine Eltern innerhalb eines halbes Jahres verloren. Beide sind jedoch am “plötzlichem Herztod” aufgrund ihrer Krebserkrankungen gestorben.
Es ging für uns alle sehr schnell……
Mein Bruder ist auch ein ganzes halbes Jahr gestorben.
Erst Krankenhaus,dann Hospiz.
Aktive Sterbebegleitung.
Das intenstiste halbe Jahr meines Lebens. In dem ich soviel über das Leben,über mich und mein Umfeld gelernt habe wie noch nie.
Ich hatte Stimmungsschwankungen, unkontrollierte Wutausbrüche,scheinbar nie endende Weinkrämpfe, kurzfristige unerklärliche Freude……
Einfach alles…..
Für mich nicht erklärbar und für mein Umfeld schon gar nicht. Eine Zeit so intensiv,traurig,dennoch dankbar.
Gefühl Schals pur.
Eine Zeit in der man erfährt wer zu einem gehört,ohne wenn und aber. Und wer nicht.
Bewundernswert die Menschen die zu einem stehen,mit dir weinen,dich auffangen,mit dir lachen und vor allem,auch mit dir schweigen…..
Ich wünsche dir und deiner Familie viel Liebe und Kraft und Menschen die für euch da ?
Glückstück
29. April 2017 at 10:16Ich kann es so gut nachvollziehen, leider. Das ganze “Programm” habe ich mit meiner Mutter hinter mir, es ist beendet, nach lächerlichen 7Wochen. In dieser Zeit hat es sie aus unserem Leben gerissen, einem Leben welches meines seit über 40 Jahren begleitet hat. Ich finde es immer noch unwirklich.
Lg und viel Kraft!
Britta.
29. April 2017 at 12:31…es klingt alles andere als wirr
– du bringst es auf den Punkt.
Ich war damals fünfzehn.
Drei jüngere Geschwister.
Sie hat gekämpft bis zuletzt.
Jetzt,
mehr als ein halbes Leben später,
weiß ich, wie wahr deine Worte sind.
Fühl dich gedrückt
unbekannterweise
Christine
30. April 2017 at 22:56Mein vollstes Mitgefühl ❤️Ich habe das vor 6 Jahren mit meiner Mutter durchlebt und man geht nicht nur an seine Grenzen sondern weit darüber hinaus!Auch wenn es ein schwacher Trost ist: es hat mich zu einem anderen, besseren Menschen gemacht.Wer in den Abgrund schaut und es über-/durchlebt der ist so unendlich stark & geerdet danach, das nimmt einem keiner mehr.Verbringe so viel Zeit wie es geht mit ihr.
Christiane
3. Mai 2017 at 13:03Herzliche Grüße….
Ich habe auch gerade alles hinter mir…bzw.bin Noch mittendrin…
Mein lieber Papa ist gestern morgen eingeschlafen …. Diagnose Krebs im Endstadium kam vor vier Wochen…er wollte noch nicht gehen hat es nicht wahr haben wollen…erst in den letzten Stunden hat er wirklich losgelassen….
Genieße alles…. und sorge gut für dich….auch wenn wir uns gar nicht kennen…. ich wünsche dir einen schönen Abschied….
Christiane
Julia
12. Mai 2017 at 23:07Habe deinen Blog gerade gelesen.
Es ist keine Hilfe, aber ich habe so schreckliche Monate auch schon durch. Auch meine Mama auch Krebs. Ich war noch recht jung. Ich hoffe, es wird bald besser für euch. Hoffe, du kannst ihr noch alles sagen, was dir wichtig ist und irgendwann mit der Situation leben. Es wird immer schmerzhaft bleiben, aber das Leben wird auch nach dieser Phase, in der man so neben sich steht und in Angst und Trauer lebt, wieder schönes bereit halten.
Ich wünsche dir gute, stärkende, lehrreiche und liebevolle Momente in dieser schweren Phase.
Liebe Grüße
Viviane
9. März 2018 at 22:44Du schreibst mir aus der Seele. Ich (damals 38) habe diese Sache mit meiner Mutter (damals 62) 2015/2016 durchgemacht…und deine letzten Sätze fassen es so treffend zusammen. Wo ist die Unbeschwertheit hin? Die Freude an Dingen….also so richtig…unbeschwerte, ehrliche Freude! Das Leben ist so anders geworden. Meine Akkus ziemlich leer. Zuerst nicht. Da hat man super funktioniert…alles bewältigt und gemanaged. Jetzt ist sie im Sommer schon 2 Jahre nicht mehr da. Krass wie schnell die Zeit vergeht und das Rad dreht sich weiter. Es beruhigt mich zu lesen, dass auch du so seltsam gegensätzliche Gefühle hattest…ich konnte das nicht deuten…aber es war sicher die Balance zwischen Kopf und Bauch. Funktionieren und stark sein für Mama oder Kund sein und Emotionen rauslassen… Danke für deine offenen Worte in dieser Sache. LG an den Fischmarkt
Jen
13. März 2018 at 15:59Liebe Viviane,
danke für deine Worte! Ja, auch ich lebe bald ein Jahr ohne meine Mum und kenne das Gefühl der Frage, wo die Zeit geblieben ist. Ich habe aktuell mit starken Wellen diesbezüglich zu kämpfen. Ging oder geht dir das auch so? Erinnerungsblitze? Träume? Ich denke ernsthaft drüber nach ein Buch über all das zu schreiben. Für mich, aber auch für all die anderen betroffenen Menschen.